In Jugoslawien hielten jetzt die Kommunisten die Fäden der Macht in der Hand. Für jene Donauschwaben, die nicht mehr rechtzeitig evakuiert werden konnten, hatte in den Herbstmonaten 1944 ein Martyrium begonnen. Sie waren wie Vieh aus ihren Häusern und Dörfern in Konzentrationslager getrieben worden, wo sie auf den Feldern und in den Wäldern arbeiten mussten. Seit Monaten war die Staatspolizei OZNA im donauschwäbischen Gebiet unterwegs und hinterließ eine Blutspur. Um sich von den Grausamkeiten dieser ethnischen Säuberung eine Vorstellung machen zu können, soll hier ein Erlebnisbericht aus Indjija (Syrmien) angeführt werden, der aber leider keinen Einzelfall darstellte:
Am 11. November 1944 wurden neun Indjijaer aufgerufen und in den Schulhof getrieben. Sie wurden mit Draht gefesselt und unter Stock- und Gewehrkolbenhieben nach dem 8 km entfernten Alt-Pasua getrieben. Hier mussten sie sich ihr Grab schaufeln, und nachher wurden sie durch eine Maschinengewehrgarbe niedergestreckt. Zigeuner kontrollierten mit Beilen in den Händen, ob alle tot waren; sie spalteten allen die Köpfe. Außer den genannten Personen aus Indjija wurden bei dieser Gelegenheit auch einige Kroaten aus der Umgebung umgebracht. Am 12. November wurden die übrigen Gefangenen aus der ungarischen Schule, je zwei, an den Handgelenken zusammen gefesselt. Danach wurde jedem einzelnen ein Seil um den Leib gebunden, und so wurden sie ins Gemeindehaus getrieben. Unterwegs wurde der Zug vom Pöbel (...) beschimpft und misshandelt. Im Gemeindehaus wurde der Zug zunächst in zwei Gruppen geteilt. Da kam gerade ein Kurier aus Semlin, der für ein russisches Kommando Arbeitskräfte anforderte. Als diese abgestellt worden waren, wurden die restlichen Gefangenen in drei Gruppen geteilt. In die erste Gruppe kamen 64 Männer, Frauen und Kinder. Man sagte ihnen, dass sie jetzt nach Hause geschickt würden. Dann führte man sie zum Schinderhaus. Hier wurden sie furchtbar misshandelt und nachheralle in einen Raum getrieben. Dann warf der Indjijaer Serbe Tošo Vujanić eine Handgranate in den Raum, die einen Teil der Leute zerriss. Die noch Lebenden wurden abgeschlachtet, einige mit dem Beil erschlagen. Auch während dieser Hinmordung sangen die Partisanen unter der Führung eines Kommissars aus Kertschedin und einer Partisanin Partisanenlieder.3
Was aber wussten die Donauschwaben in Österreich von den Tragödien in der Heimat? Wer von ihnen konnte sich überhaupt die Grausamkeiten und die Bestialität vorstellen, denen die eigenen Landsleute auf vertrautem Boden ausgesetzt waren? Waren sie darüber informiert worden, dass sie nicht mehr Eigentümer ihrer Häuser, nicht mehr Besitzer von Grund und Boden waren? Schon am 6. Februar 1945 war im Amtsblatt der kommunistischen Volksrepublik Jugoslawien die Konfiskation des deutschen Vermögens verlautbart worden. Damit war ins Eigentum des Staates übergegangen:
- sämtliches Vermögen des Deutschen Reiches und seiner Staatsbürger, das sich auf dem Territorium von Jugoslawien befindet;
- sämtliches Vermögen von Personen deutscher Volkszugehörigkeit außer dem derjenigen Deutschen, die in den Reihen der Nationalen Befreiungsarmee und der Partisaneneinheiten Jugoslawiens gekämpft haben oder die Staatsangehörige neutraler Staaten sind, die sich während der Okkupation nicht feindlich verhalten haben;
- sämtliches Vermögen der Kriegsverbrecher und ihrer Helfershelfer ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerschaft und das Vermögen einer jeden Person, die durch Urteil der Zivil- und Militärgerichte zum Vermögensverlust zugunsten des Staates verurteilt wurde.4
Und wer hatte ihnen gesagt, dass sie inzwischen staatenlos geworden sind? Das jugoslawische „Gesetz zur Regelung der Staatsbürgerschaft“ vom 28. August 1945 bestimmte nämlich, dass die jugoslawische Staatsbürgerschaft jedem Volksgruppen-Angehörigen jener Nationen genommen werden durfte, deren Staaten sich im Krieg gegen die Völker der DFJ beteiligt haben, und der während des Krieges oder in Verbindung damit vor dem Kriege durch illoyales Verhalten gegen die nationalen und staatlichen Interessen der Völker der DFJ und seine Pflichten als Staatsangehöriger verstoßen hat...5
Eine Rückkehr in die Heimat war also unmöglich – unmöglich, weil man kein jugoslawischer Staatsbürger mehr war, weil einem nichts mehr gehörte und inzwischen Scharen von Dieben alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus den Häusern gestohlen hatten. Unter diesen Umständen wäre eine Heimkehr glatter Selbstmord gewesen. Die Donauschwaben hätten wohl das schreckliche Schicksal der 100.000 Kroaten, Muslime und Serben teilen müssen, die man an das Tito-Regime ausgeliefert hatte. Das „Massaker von Bleiburg“ oder die brutalen Sühnemärsche ins Landesinnere forderten zwischen 45.000 und 55.000 Opfer. Opfer, für die bis heute niemand die Verantwortung trägt! Tito säuberte das neue Jugoslawien. Jetzt bestimmten die Kommunisten, wer dieses Land noch als Heimat bezeichnen durfte. Über Menschenrechte wollte man später reden, jetzt sprach man über Rache und Vergeltung, Verrat und Loyalität, Treue und Untreue, Leben oder Tod, Blut oder Brot. Tito wollte keine deutsche Volksgruppe mehr im Land haben, weshalb ein Überschreiten der heimatlichen Grenzen auch nicht mehr möglich war. Und wo hätten die Donauschwaben denn die Grenzen überschreiten sollen? Der Weg über Ungarn war ebenso versperrt wie der über slowenisches Gebiet. Für die Donauschwaben war in der Heimat kein Platz mehr. In ihren Häusern waren die Lieder verstummt, das Surren der Spinnräder verklungen, die Kirchen verriegelt, die Kruzifixe aus den Wänden gerissen und die Ställe leer geräumt. Wohin sollte sie also mit ihren letzten Habseligkeiten gehen?
3 Donauschwäbische Kulturstiftung (Hg.), Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords. München 1998, S. 96-97.
4 Die Grundlage bildeten die Bestimmungen des AVNOJ (Antifašističko v(ij)eće narodnog oslobođenja Jugoslavije) vom November 1944, dem obersten administrativen und legislativen Organ der jugoslawischen Widerstandsbewegung, die von den Kommunisten (Partisanen ) unter der Führung von Josip Broz Tito angeführt wurde.
5 Damijan Guštin, Die Rechtslage der deutschen Minderheit in Jugoslawien 1944 bis 1946, S. 317-330.